Willkommen im sogenannten Waisenhaus-Kabinett. Unter dem Titel »Weltveränderung durch Menschenveränderung« wird die 300-jährige Geschichte der Stiftungen vorgestellt. Beginnen wollen wir den Rundgang natürlich mit dem Vater der Einrichtungen: mit August Hermann Francke (1663–1727). Sein Porträt hängt rechts im Raum an der Wand. Es ist um 1750, also nach Franckes Tod, gemalt worden und stellt ihn im Alter von etwa 55 Jahren dar.
1692, hatte Francke die Pfarrstelle in Glaucha angetreten. Glaucha war damals noch ein kleiner Ort vor den Stadttoren Halles und – so würden wir heute sagen – ein sozialer Brennpunkt: Armut und Trunksucht waren allgegenwärtig. Besonders die Kinder und unter ihnen vor allem die Waisen litten unter dem Elend. Er sah seine entscheidende Aufgabe darin, die gesellschaftlichen Missstände durch eine bessere Erziehung der Kinder zu beheben.
In der ersten Vitrine weisen eine historische Spendenbüchse sowie Kopien zeitgenössischer Münzen auf die Gründungsgeschichte der Anstalten hin. 4 Taler und 16 Groschen bildeten den bescheidenen Grundstock. Als Francke diese Kollekte eines Tages in der Spendenbüchse seines Pfarrhauses fand, soll er den legendären Satz gesagt haben:
1698 begann Francke den Bau des Waisenhauses. Zeitgleich erhielt er das Gründungs-Privileg für seine Anstalten durch den Brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. Mit dem kurfürstlichen Privileg wurde Franckes private Initiative als publikes Werk, also ein gemeinnütziges Werk, bestätigt und mit rechtlichen und steuerlichen Vergünstigungen gefördert. An der Wand ist der älteste Plan des Halleschen Waisenhauses von 1705 zu sehen. Die Nummern zeigen, wofür die einzelnen Gebäudeteile und Räume genutzt wurden.
Gläser aus der Stiftungsapotheke verweisen auf die wirtschaftlichen Grundlagen der Anstalten. Zwei von ihnen sind handbemalt und zeigen die beiden zur Sonne aufsteigenden Adler. Als großes Emblem zieren sie auch das Tympanon an der Vorderseite des Waisenhauses. Interessant sind auch die kleinen Päckchen, die hier ausgestellt sind. Es sind Verpackungen von Arzneien aus der Medikamentenexpedition – dem Arzneiversand des Waisenhauses. Die Waisenhausmedizin war weltweit nachgefragt und brachte den Anstalten große Erträge, die für den Ausbau der sozialen und pädagogischen Einrichtungen eingesetzt wurden.
Das Hallesche Waisenhaus unterhielt weltweite Beziehungen. Zu sehen ist hier ein Diorama, das den Empfang der Salzburger Lutheraner vor dem Waisenhaus am 21. April 1732 zeigt. Anfang der 1730er Jahre waren zehntausende Lutheraner aus dem katholischen Erzstift Salzburg ausgewiesen worden und hatten ihre Heimat nahezu über Nacht verlassen müssen.
Das Denkmal für August Hermann Francke wurde von dem Berliner Bildhauer Christian Daniel Rauch (1777–1857) geschaffen und 1829 enthüllt. Es steht bis heute am Ostende des Lindenhofs.
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Die Büste vor Ihnen zeigt August Hermann Niemeyer (1754–1828). Er war es, der die Stiftungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor dem Ruin bewahrte. Niemeyer war gelehrter Theologe und geachteter Pädagoge. Er wirkte als Politiker, Dichter und Publizist und stand mit Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller in Verbindung.
Das Porzellan mit Ansichten aus den Stiftungen und der Bilderbogen an der Wand zeugen davon, dass die Stiftungen noch im 19. Jahrhundert als spektakuläres Bauensemble wahrgenommen wurden.
Trotz immenser finanzieller Probleme, verursacht durch die Wirtschaftskrise, konnten die Stiftungen während der Weimarer Republik weiter bestehen. Ohne die exponierte Position als traditionsreiche Bildungsstätte aufzugeben, wurden nun moderne Impulse der Pädagogik jener Zeit aufgenommen, die eine Erziehung vom Kinde her in den Mittelpunkt stellte.
Das Bauensemble der Franckeschen Stiftungen wurde in über 300 Jahren mehrfach erweitert. Auch die Nutzung einzelner Gebäude und Gebäudeteile änderte sich mit neuen Anforderungen. Auf dem großen Monitor können Sie interaktiv durch die Entstehung und den Wandel des Geländes von 1698 bis 1750 reisen und mehr über die Baugeschichte der Franckeschen Stiftungen erfahren.