Die Räume, in denen Sie jetzt stehen, beherbergten über 150 Jahre lang die Apotheke des Waisenhauses. Heute finden Sie hier das Pietismuskabinett: eine Ausstellung, die unter dem Titel »Kraft des Wortes« die kulturgeschichtlichen Wirkungen des Halleschen Pietismus vorstellt. Im Mittelpunkt der Bewegung stand das WORT. Als Leitfaden der Ausstellung dient der Umgang mit dem Wort in seinen unterschiedlichen Ausdrucksformen: des gesprochenen, geschriebenen, gedruckten, dichterisch verarbeiteten, gesungenen und übersetzten Wortes.
Den Auftakt der Ausstellung bilden zwei Riesenholzschnitte aus der Cranach-Werkstatt von etwa 1560. Sie zeigen Martin Luther und Philipp Melanchthon.
Die große Vitrine zeigt Briefe, Tagebücher und Autobiografien aus verschiedenen Zeiten. Die drei Literaturgattungen waren von besonderer kulturgeschichtlicher Bedeutung für den Pietismus.
August Hermann Francke schuf schon früh die Grundlagen für ein ausgedehntes Publikationswesen. So ließ er sich die Gründung einer Verlagsdruckerei und einer Buchhandlung von seinem Landesherrn, dem brandenburgischen Kurfürsten genehmigen. Dort erschienen Bücher, Zeitschriften, fremdsprachige Drucke sowie Neuausgaben zu allen Themen, die den Pietisten wichtig waren.
1710 begründete Francke mit der Cansteinschen Bibelanstalt eine zweite Druckerei in den Anstalten. Damit setzte er eine Kernforderung der Reformation nach massenhafter Verbreitung der Bibel um. Hier wurden jährlich in hohen Auflagen die Bibel und das Neue Testament in handlichem Format preisgünstig produziert.
Dieser Abschnitt der Ausstellung thematisiert den erstaunlich tiefgreifenden Einfluss des Pietismus auf Literatur und Dichtung. Ganz in der lutherischen Tradition kultivierte der Pietismus die Sprache auch in dieser Hinsicht. Sein bedeutendster Beitrag zur deutschen Literatur war die geistliche Lyrik, die durch Gefühlsinnigkeit und sprachliche Kraft gekennzeichnet war.
Hören Sie den Germanisten Heinz Schlaffer zur deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts.
In der Mitte des Raumes befindet sich eine Installation mit übereinander liegenden Balken, die in unterschiedliche Richtungen weisen. Sie versinnbildlicht den Wertekanon, der an den Schulen Franckes erstmals ganzen Schülergenerationen systematisch anerzogen wurde und der bis heute in unserer Gesellschaft nachwirkt.
Raum 2 der Ausstellung
Im unmittelbaren Anschluss an reformatorische Ideen, wollte der Hallesche Pietismus eine grundlegende Verbesserung der Gesellschaft durch Bildung und Erziehung für Jungen und Mädchen aller sozialen Schichten erreichen. Für August Hermann Francke stand die Erziehung zu einem wahrhaft christlichen Lebenswandel im Einklang mit der Vermittlung von Fachwissen und einer breiten Allgemeinbildung. Er wollte gleichermaßen qualifizierte Fachleute und verantwortungsvolle Mitglieder der Gesellschaft ausbilden.
Auch hier geht es um das gesprochene Wort. Im Verständnis Franckes eignete sich die Predigt ganz besonders zur persönlichen Ansprache und Bekehrung der Zuhörer. Das erforderte eine besondere Schulung der Theologen zu einer einfachen, verständlichen und bildreichen Sprache. Die Predigt sollte zu Herzen gehen und zur Besinnung über das Gehörte anregen, um letztendlich positiv auf die persönliche Lebensführung zu wirken. Als herausragendes Leitexponat der gesamten Ausstellung ist hier die wunderschöne Renaissancekanzel aus der St. Ulrichs-Kirche in Halle ausgestellt, von der August Hermann Francke ab 1715 als Pfarrer der Ulrichs-Gemeinde predigte.
Raum 3 der Ausstellung
Für die Musik forderten die Reformatoren einen festen Platz in der christlichen Bildung und Erziehung. Im Pietismus wurde das Kirchenlied zum Ausdruck der persönlichen Glaubenserfahrung. Die in Franckes Anstalten entwickelte Gesangs- und Liedkultur war beschwingt und bewegend zugleich. Sie entfaltete sich in den Schulen und den regelmäßigen öffentlichen Singstunden.
200 Jahre lang blieb das Luthertum auf Europa beschränkt. Erst der Pietismus mit seiner universalen Ausrichtung sorgte für eine organisierte Verbreitung des Luthertums auf andere Kontinente. Das Hallesche Waisenhaus wurde schon früh zu einem erstaunlich wohlorganisierten Kommunikationszentrum und Umschlagplatz für Nachrichten aus aller Welt, außerdem wurden hier zahlreiche ausländische Schüler und Studenten ausgebildet. Das pietistische Interesse am Umgang mit dem Wort erstreckte sich auch auf Fremdsprachen und philologische Studien. Auf dieser Grundlage wurden hier Übersetzungen der Bibel und pietistischer Erbauungs-Literatur in verschiedenen Sprachen angefertigt und gedruckt.
Wie geht es weiter?
Folgen Sie dem Rundgang durch die Tür mit dem Signet des Waisenhauses und besuchen Sie im ersten Obergeschoss den Freylinghausen-Saal.
Ein Fahrstuhl befindet sich hinter den Garderobenschränken am Ende des Ganges.